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Sweet Dakotaland
Der Great Dakota Boom und was daraus wurde
Wann es anfing, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Manche setzen den Beginn ins Jahr 1873, als die erste Eisenbahnlinie Yankton, SD, erreichte, und das Ende ins Jahr 1889, als die beiden Dakotas zu Bundesstaaten wurden. Andere nehmen einen kürzeren Zeitpunkt an, von 1878-1887. Mit 1883 als den Höhepunkt.
Bevor die beiden Dakotas Bundesstaaten wurde, war die Gegend, die anfangs auch Teile Montanas und Wyomings umfasste, seit 1861 als Dakota Territorium organisiert. Um 1862 kamen die ersten Siedler ins Land, der Boom begann allerdings wie gesagt erst später als die Northern Pacific die ersten Eisenbahntrassen baute. Zur Finanzierung der Eisenbahn überließ die Bundesregierung den Eisenbahngesellschaften große Landflächen, die die Eisenbahngesellschaften billig an Siedler verscherbelten. Die Northern Pacific startete umfangreiche Werbekampagnen, um Siedler anzulocken. Sie schaltete nicht nur Anzeigen in hunderten europäischen Zeitungen, sondern gründete zu diesem Zweck selbst Zeitungen in Deutschland, England und der Schweiz. Versprochen wurde - wie immer in der Werbung - das Blaue vom Himmel herunter: "Best Wheat Lands, Best Farming Lands, Best Grazing Lands in the world. FREE TO ALL." Und wie immer gibt es genug Leute, die auf die Werbung reinfallen. Hunderttausende Deutsche, Skandinavier, Iren und Russen strömten ins Land. Heute haben ca. 44% der Einwohner der Dakotas deutsche Vorfahren.
Dakota boomte. Die Städte und Farmen schossen nur so aus dem Boden. In South Dakota z.B. explodierte die Bevölkerung innerhalb knapp zweier Jahrzehnte von knapp 12.000 auf über 328.000. Aus 1.700 Farmen wurden 50.158. Die Züge spuckten Wagenladungen von Siedlern aus.
Im Vergleich zu anderen Regionen des Westens erfolgte die Besiedlung hier relativ spät. Dakota gilt vielen als „the last frontier“. Wie bereits erwähnt, wähnten sich die Siedler hier anfangs im Paradies. Dabei hatten sie nur eine kurze sehr milde Klimaperiode erwischt. Bald holte sie die grausame Realität ein. Das Leben auf der baumlosen, trockenen Prairie war hart. Alles, wirklich alles, vom Nagel bis zum Bauholz musste von weit hergeschafft werden. Wegen des Holzmangels beuten viele Siedler lediglich Grassodenhütten. Bei Regen oder Schneefall brachen regelmäßig die Dächer ein.
Oft war der Winter so schneereich, dass die Eisenbahnen mit Versorgungsgütern nicht durchkamen. Dann gab es kein Feuerholz und kein Kerosin für die Lampen. "The dark came in, loud with the roar and the shrieking of the storm", schrieb Laura Ingalls Wilder (Ihr wisst schon, die mit unserer kleinen Farm). Mangels Feuerholz wurde oft mit buffalo chips geheizt. Die brennen zwar ganz ordentlich, aber bei einen deutlich niedrigeren Brennwert als Holz. Oder sie feuerten mit Heu. Das fehlte dann den Tieren. In den langen Winter ging oft auch das Mehl aus, dann wurde notgedrungen das für den nächsten Frühling gedachte Saatgut gegessen. Im Frühling dann Schneeschmelze mit Überschwemmungen. Im Jahr 1881 wurde die gesamte Stadt Vermillion vom Missouri weggeschwemmt.
Der Boden konnte kaum anständig gepflügt werden. Diesen noch nie bearbeiteten Boden aufzubrechen war eine Knochenarbeit. Viele nutzten noch Handpflüge. Jeden Tag mussten die Pflüge nachgeschärft werden. Im Schweiße ihres Angesichts mühten sich die Siedler dennoch damit ab, taten sich dabei aber unwissentlich keinen Gefallen, im Gegenteil. Die gepflügte, des Grases entblößte Prairie war nun ungeschützt der Erosion ausgesetzt. Wind und Niederschlag sorgten binnen kurzem dafür, dass Ackerbau in einigen Gegenden unmöglich wurde. Dennoch, in den ersten Jahren gedieh das Getreide. Doch dann kamen Dürren, Überschwemmungen, Prairiefeuer.
War aber auch schon egal, es wurde eh das falsche angepflanzt. Die meisten bauten wie aus Europa gewohnt Weizen an. Der kam mit dem Klima hier nicht so wirklich gut zurecht. In den ersten Jahren ging es noch, aber bald wurde es zu trocken dafür. Abgesehen davon, für profitablen Weizenanbau waren die Farmen sowieso zu klein, die Weizenpreise zu niedrig und die Transportkosten zu hoch. So kostete der Transport von Dakota bis Chicago mehr als von Chicago bis Europa. Und die meisten Siedler verfügten lediglich über ihre 160 acres Farmland, das ihnen durch den homestead act überlassen worden war.
Etwas besser ging es anfangs den Rinderzüchtern. Aber auch hier bereitete das Klima bald größte Probleme. Siehe den Winter von 1886/1887:
Hatten die Siedler sich anfangs durch die milden Jahre täuschen lassen, glaubten sie, hier Landwirtschaft wie in Europa betreiben zu können und wie in Europa leben zu können, wurden sie rasch eines besseren belehrt. Dakota ist nicht für Landwirtschaft wie in Europa geeignet. Hier muss man außer im Juli in jedem Monat des Jahres mit Schnee rechnen. Die Temperaturen können im Winter bis auf -51 °C fallen und im Sommer auf bis zu +49 °C steigen. Ein Temperaturunterschied von 100 °C. Dazu kommen die starken Winde, die sich nie zu legen schienen, der gemessene Rekord liegt bei 115 mph.
Genau dieses Klima hatte bisher eine Besiedlung verhindert. Aber das wussten die europäischen Einwohner ja nicht. Auch nicht, dass man die Great Plains noch Anfang des 19. Jahrhunderts als The Great American Desert bezeichnet hatte.
Und dann diese Einsamkeit. Der krasse Gegensatz zum dicht besiedelten Europa oder auch dem Osten der USA. Zu viel Isolation für viele. Nur Arbeit, keine Abwechslung, keine Zerstreuung. Viele, vor allem die Siedlerfrauen, sahen oft jahrelang keine menschliche Siedlung. Man stelle sich das vor, außer dem Ehemann und den Kindern für Jahre kein anderes menschliches Wesen zu sehen. Kein Wunder, dass viele den Verstand verloren.
Der Winter von 1886/1887 gab vielen den Rest. Dazu habe ich im Netz folgendes Zitat von Marc Reisner gefunden:
Wochen, gar Monate eingefangen in der gefrorenen, baumlosen Prärie, tausende verloren buchstäblich ihren Verstand. Am Ende wurden Stühle zerhackt und verbrannt. Die Siedler erwogen einen verzweifelten Marsch zur nächsten Stadt und versuchten zu entscheiden, was verrückter war, zu bleiben oder zu gehen. Niemand weiß, wie viele ihr Leben verloren, aber als der Frühling kam, fand man ganze Familien, die ihren letzten Kartoffeln umklammerten und einander festhielten, ihre starrenden, leeren Augen mit Eis verkrustet.
Kurz gesagt:
Eine, nein, nicht lebensfeindliche Umgebung; wie Ihr gesehen habt, blüht hier das Leben - aber angepasstes Leben. Nicht lebensfeindlich, aber siedlungsfeindlich. Europäerfeindlich. Harsch. Rauh. Ungezähmt. Nur kurze Zeit nutzbar, bis zum nächste Blizzard, zum nächsten Hagel, zum nächsten Tornado, zur nächsten Flut oder zum nächsten Prairiefeuer. Die kommen bestimmt. Und können immer noch – wir vor hundert Jahren – die gesamte Ernte vernichten oder die gesamte Viehherde auslöschen.
Aber gerade deshalb fand ich es so faszinierend. Das Land besitzt eine wilde Schönheit. Dieses Klima muss man einmal erlebt haben, auch, um die Menschen hier besser zu verstehen.
Wir hatten es natürlich viel besser (richtiggehend weicheimäßig) als die Siedler in den 1880ern. Wir hatten einen sehr GRÜNEN Zeitpunkt erwischt. Es gibt hier zwar immer mal wieder nassere Zeiten, aber der Normalfall ist das nicht. Dennoch denke ich, dass wir zumindest ein wenig Gefühl dafür erfahren durften.
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Wie es weiterging? Viele Siedler verließen die Gegend. Dementsprechend viele verlassene Farmen sieht man hier rumstehen.
Little house on the Prairie :
Viele blieben aber auch. Im Jahre 1889 lebten immer noch so viele Menschen in den Dakotas, dass beide als Bundesstaaten in die Union aufgenommen wurden. Es wurde lange diskutiert, ob man Dakota als einen oder zwei Staaten aufnehmen sollte. Aber letztendlich setzten sich die zur Zeit vorherrschenden Republikaner Republikaner durch, zwei Staaten aus dem Territorium zu machen, da dies den Einfluss der Republikaner (vier statt zwei Senatoren in Washington) stärken würde.
Blieb die wichtige Frage, welcher der beiden neuen Staaten zuerst beitreten würde. Damit keiner beleidigt war, unterschrieb der zuständige Secretary of State beide Urkunden ohne zu sehen, welche er gerade unterschrieb. So weiß man bis heute nicht, welches der beiden Dakotas zuerst der Union beitrat.
Aufgrund der Frustration der Menschen über die Lebensumstände war die Politik, vor allem in North Dakota, etwas, nun ja, aufgeregt. Die Leute waren sauer auf die Großbanken und die Eisenbahnunternehmen und 1915 bildete sich ein neuer Flügel innerhalb der Republikanischen Partei North Dakotas, die Nonpartisan League (NPL). Kurioserweise war das eine sozialistische Bewegung, die noch kurioserweise von den Farmern ausging. Zu dieser Zeit war in North Dakota die Landbevölkerung sozialistisch und die Stadtbevölkerung kapitalistisch eingestellt. Die NPL forderte z.B. die Verstaatlichung von Banken, Getreidemühlen, Getreideverladestationen und allem anderen was mit der Landwirtschaftsindustrie zu tun hatte. Schon 1916 übernahmen sie die Parlamente und die Regierung und setzten Teile ihres Programms um.
Die NPL verließ dann irgendwann die Republikanische Partei und fusionierte in den 1950ern mit den Demokraten. Sozialistische Politik wird in North Dakota schon lange nicht mehr betrieben. Aber einiges aus dieser Zeit blieb bestehen. Noch heute gibt es in North Dakota die staatliche Bank of North Dakota und die staatliche North Dakota Mill and Elevator, den größten Getreidemühlenbetreiber der USA. Ebenfalls blieben die widrigen Lebensumstände, unter denen sich der Mensch nach wie vor täglich aufs Neue gegen die Unbilden der Natur behaupten muss...