Der PRINCE WILLIAM SOUND - Alaskas widerspenstiges Paradies


  • Welch eine Enttäuschung. :EEK:

    Also über die Haltbarkeit von teuren Outdoor Artikeln könnte ich wirklich ein vernichtenden Artikel verfassen. Dieses endlose Streben nach noch mehr Gewichtsreduzierung geht mittlerweile viel zu sehr auf Kosten der Haltbarkeit der nur allzu teuren Produkte!

    Welch ein aufregender Tag war das wieder. Ihr erlebt wirklich einen echten Abenteuerurlaub.

    ABENTEUERURLAUB ist genau das richtige Wort.

    Wieviel Bestseller hast du eigentlich schon auf den Markt gebracht ;,cOOlMan;: ? Dein Schreibstil ist KLASSE :clab: :clab: :clab: .


    LG,


    Ilona

    Vielen Dank! :schaem: Geschrieben habe ich noch nicht so viel, dafür aber gelesen. Ich sag nur: "Nonstop Bill Bryson, dem Grandmaster des bildhaften Vergleiches, das hinterlässt seine Spuren!"


    Dann noch HENNO MARTIN´s "Wenn es Krieg gibt gehen wir in die Wüste".


    http://www.amazon.de/Wenn-Krie…TF8&qid=1353536365&sr=8-1


    Bevor man dieses Buch nicht gelesen hat, ahnt man kaum, wie facettenreich, bildhaft und schön die deutsche Sprache sein kann. Ich kanns nur jedem empfehlen.

  • Nach laaanger Pause, mal wieder was von mir: :schaem:


    30.Juli 2012


    Zu nächtlicher Stunde setzt schwerer, lang anhaltender Regen ein, der uns, wie zuletzt viel zu häufig, den Schlaf raubt, sodass wir anstatt in süßen Träumen zu weilen, genervt dem monotonen Prasseln der Regentropfen zuhören, die wie Millionen kleiner Füße über die Nylonbahn unseres Außenzeltes tippeln.


    Am nächsten Morgen sieht die Welt um uns herum seltsam verändert aus.
    Das winzige Fließ, das in geschwungenen Schleifen unser Nachtlager umschlingt, hat sich in einen munter dahinrauschenden Bachlauf verwandelt, der sich daran anschließende Waldsee hat sein schmales Ufer längst verschluckt, fingert gierig mit dünnen Rinnsalen in den angrenzenden Wald hinein, wo er kleine Senken auffüllt und dicke Moospolster in vor Nässe triefenden Schwämme verwandelt.



    In tief geduckter Haltung hasten wir eilig in unser Lager, erwecken mühsam das kleine Feuer zu neuem Leben, dessen Flammen einen lebhaften Lichtertanz auf die Stämme der umliegenden Bäume zaubern und das düstere Zwielicht des Waldes dadurch etwas erträglicher machen.
    Ansonsten geben wir uns der Melancholie hin, die diesem Tag zweifellos inne zu wohnen scheint.
    Was haben wir im Vorfeld nicht alles unternommen, um mit viel Geld und noch mehr Energie in diesen Winkel der Erde zu gelangen, um unseren so gewöhnlich gewordenen Alltag mit seinen verbauten Horizonten, dem ganzen Lärm und Gestank unserer Gesellschaft zu entfliehen, um hier dem Ruf der Freiheit zu folgen, frei atmen zu können und einer tief verwurzelten Sehnsucht nach Abenteuer und ursprünglicher Natur nach zu geben.


    Mit der Gewissheit eines Hintertürchens, durch das wir, wann immer uns das Bedürfnis in den Schoß der Zivilisation zurückzukehren überkommen sollte, barg dieses Vorhaben einen überaus angenehmen Nervenkitzel, der für eine tiefe innere Befriedigung sorgte.
    Nun aber, da wir uns an diesem verlassenen Ort wieder finden, dicht beieinander unter dem Regenschirm am Strand kauern und auf das Meer hinaus sehen, während rings um uns herum der Regen waagerecht über das Land fliegt, wo das Rauschen der See von einem vielstimmigen Chor von Billionen kleiner, schwarzer Kieselsteine begleitet wird, die von der Kraft des Wellenschlages mitgerissen, sich aneinander reiben, schleifen, schlagen und stoßen, dabei unentwegt an Substanz einbüßen, bis sie endgültig und für alle Zeiten zu Staub und feinem Sand zerfallen, scheint dieses Hintertürchen ins Schloss gefallen, der Schlüssel abhanden gekommen und unsere Einsamkeit beinahe körperlich spürbar.




    Grüße aus der Tiefsee: Während sich der grüne, vom Leben gezeichnete Seestern fest wie Gummi anfühlt, ist sein vielarmiger Kamerad pappig weich wie Gelee. Tot sind sie indes beide.


    Seit zwei Tagen wird uns hier jedes Indiz auf die Anwesenheit zivilisierten Lebens jenseits der grauen, wallenden Nebelbänke vorenthalten. Kein Schiff verirrt sich in diese Bucht, nicht einmal eines der sonst so präsenten, dröhnenden Wasserflugzeuge durchschneidet die Wolken.
    Nur ein einsamer Adler zieht weit oben am Himmel seine Kreise.


    Jenseits unserer Bucht ist das Tor zur Unterwelt noch immer weit geöffnet und der Sturm demonstriert nach wie vor seine Stärke.
    Er türmt schwarze Wassermassen aufeinander, lässt sie an ihrem höchsten Punkt kollabieren und zerstäubt sie zu lang gestreckten, weißen Gischtfahnen, als wolle er uns ganz klar zu verstehen geben:
    Ihr kommt hier nicht weg, ihr seid Gefangene, Aussetzige, gestrandet mitten im Nirgendwo!


    Während für mich die gesamte Situation einer gewissen Faszination nicht entbehrt und ordentlich Wasser auf die Mühlen meiner Abenteuergene gießt, löst der Anblick unseres bedrohlich schrumpfenden Proviantvorrates in Verbindung mit der augenscheinlichen Unmöglichkeit in absehbarer Zeit dieser entlegenen Gegend zu entrinnen, bei meiner Frau eine bislang unbekannte Form von Hilflosigkeit und unterschwelliger Verzweiflung aus, sodass ich aus Liebe zu ihr zusage, diesen Ort als Umkehrpunkt unserer Tour zu betrachten.
    Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit würden wir westwärts fahren, was uns dichter an die Routen anderer Schiffe heranbringt, deren simple Anwesenheit, selbst als verschwommen Umriss in weiter Ferne, sich als eine zuverlässige, psychologische Stütze erweisen sollte.



    Doch zunächst müssen wir ein weit banaleres Problem lösen: Mit Sorge haben wir in den letzten Stunden registrieren müssen, wie unser Nachtlager auf sumpfigem Untergrund von stetig steigenden Fluten bedrängt wurde, nun kurz vor der Kapitulation steht und wir die Notbremse ziehen müssen, wollten wir nicht untätig zusehen, wie unser Zelt herrenlos an uns vorbei treibt und wir so der einzigen halbwegs trockenen zwei Quadratmeter beraubt würden, die uns gefühlt auf diesem Kontinent geblieben sind.
    Also suchen wir krampfhaft nach einer Alternative, wohl wissend dass diese kaum zu finden sein wird.
    Im schwindenden Tageslicht schlage ich schließlich resigniert eine Presche in das dichte Gefilz des Uferbewuchses, die gerade groß genug für ein kleines Zelt ist. Trotzdem können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, wir stünden vor der Campingausgabe des Dornröschenschlosses und gehen, aus Sorge vor unliebsamen Überraschungen am nächsten Morgen, heute besser mit Axt und Säge zu Bett.


    Für den Hoffnungsschimmer des Tages sorgt schließlich die monotone Computerstimme des Marine Radios, als sie uns eine vierundzwanzigstündige Regenpause prophezeit, was uns innerlich frohlocken lässt. Gleichwohl geht damit die nüchterne Erkenntnis einher, dass unsere Wetteransprüche an die verbliebenen Überreste des Sommers auf einen Tiefpunkt gesunken sind.

    • Offizieller Beitrag

    So lamgsam wird es gefährlich.
    Das Wasser steigt, der Sturmwind tobt, die Vorräte schwinden und als einzige Zuflucht ein Zelt. :EEK:

  • Während für mich die gesamte Situation einer gewissen Faszination nicht entbehrt und ordentlich Wasser auf die Mühlen meiner Abenteuergene gießt, löst der Anblick unseres bedrohlich schrumpfenden Proviantvorrates in Verbindung mit der augenscheinlichen Unmöglichkeit in absehbarer Zeit dieser entlegenen Gegend zu entrinnen, bei meiner Frau eine bislang unbekannte Form von Hilflosigkeit und unterschwelliger Verzweiflung aus,


    Ich bin gerade regelrecht hin und hergerisssen zwischen euren Gefühlen.......aber ich glaube, wenn man nicht wirklich selbst in ähnlicher Situation war, kann man das nicht wirklich verstehen. Ich bin aber nach wie vor fasziniert von eurem Abenteuer .....


    Ich bin vor allem ein ganz großer Fan deines wunderbaren Schreibstils... :clab: :clab: :clab:

  • Ihr lieben, einen schönen 2. Advent wünschen wir Euch, trotzdem müssen wir heute Eure Leidensfähigkeit auf die Probe stellen, denn hier kommt der nächste (lange) Tag:


    31.Juli 2012



    Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie eine für uns derart komplexe, und in ihren Dimensionen nur schwerlich zu erfassende Sache wie das Wetter, innerhalb weniger Stunden eine solch allumfassende Metamorphose vollziehen kann, den davon betroffenen Ort von seiner farblosen Tristesse befreit und in ein lebendiges und vitales Fleckchen Erde verwandelt.
    Leider funktioniert der Trick andersrum mindestens genauso gut.


    Wie prophezeit, ging Petrus während der Nachtstunden endlich der Nachschub aus.
    Wie der jugendliche Trieb einer Pflanze, der sich nach einem langen, harten Winter dem Licht des Frühlings entgegen reckt, brechen wir am Morgen aus dem Unterholz des Uferdschungels und verharren für einige Augenblicke mit hoch erhobenen Köpfen und weit ausgebreiteten Armen, als warteten wir darauf, dass uns jemand umarmt, um die lang herbei gesehnten, wärmenden Sonnenstrahlen durch unsere Körper fluten zu lassen.


    Danach schleppen wir unsere gesamte Habe aus dem unverändert kalten und feuchten Wald, in dem die Luft nach wie vor mit dem Geruch modriger Pflanzen und morschem Holz gesättigt ist. Der Strand vor unserem Camp erweckt derweil den Anschein, als wollten wir einen Flohmarkt abhalten, doch nur fünfundvierzig Minuten Sonnenlicht genügen, um zu trocknen, was zuvor in drei Tagen Dauerregen klamm und schwer worden ist.



    In der elften Stunde gelingt uns die Flucht von Alcatraz Beach, wie wir unsere Bucht seit gestern zynisch nennen.
    Wir nehmen Kurs auf den Punkt, wo sich die geheimnisvoll grünen Fluten der “Eaglek Bay” mit den offenen Wassern des zentralen Sounds mischen. Das dies haargenau die selbe Route wie vor drei Tagen ist, merkt indes nur das GPS Gerät. Für unsere Augen wurde die leblose, graue Leere inzwischen mit einer zauberhaften Landschaft dekoriert, über der sich drei schneeweiße Wolkenberge, wie von Kindern zerpflückte Zuckerwattebäusche, um die Vorherrschaft am Himmel streiten.



    Wir lassen die durch Müll verschandelte “Agayuut Bay” steuerbordseits liegen und halten auf drei kahle, leblose Felsbuckel zu, die inmitten der See, wie mit Moos besetzte und mit tiefen Klüften durchzogene Panzer riesenhafter, urzeitlicher Schildkröten aufragen. Den kleinsten der drei Felsen konnte eine Kormorankolonie für sich in Anspruch nehmen, die beiden weitaus größeren Inseln mussten die schwarzen Vögel mit den charakteristischen Hakenschnäbeln aber an eine Horde Robben abtreten, die nun faul und träge, wie hellbraune Würste kreuz und quer herumliegen, als hätte ein Lastwagen auf der Autobahn eine Ladung schmale, kurzflorige Teppiche verloren.






    Da die Sonne ihren täglichen Zenit bereits vor zwei Stunden überschritten hat, halten wir kurz vor “Ragged Point” auf einen winzigen, kiesigen Strand zu, der durch eine Handvoll ins Meer gewürfelte Felsbrocken einigermaßen geschützt liegt, um die Energiereserven durch eine Portion Reis mit Hühnchen aufzufüllen.


    Jenseits des hoch aufragenden Felssporns von “Ragged Point”, liefern sich ein nach wie vor deutlich spürbarer Westwind und eine widerspenstige Gezeitenströmung noch immer ein episches Kräftemessen, wodurch das Meer aufgewühlt wird und lebhaft, wie ein riesenhafter Whirlpool vor sich hin brodelt.


    Mit geschärften Sinnen und einer angespannten Erwartungshaltung überqueren wir die tosende “Squaw Bay” und nähern uns dem breiten Ausgang der Esther Passage.
    Und auch diesmal bleibt uns der nervenkitzelnde Höhepunkt des Tages nicht erspart, denn auf die wegelagernden Stellerschen Seebanditen ist Verlass.
    Kaum mehr als fünf Meter neben unserem auf und ab schaukelnden Boot teilen sich plötzlich die dunklen Fluten der See und ein massiger Körper schiebt sich empor, wie einst die Nautilus in Jules Vernes Romanen. Das Tier dreht seinen spitzen Kopf mit den schwarzen, glänzenden Augen zu uns herüber, taxiert uns neugierig, als gelte es heraus zu finden, ob sich ein Eindringling, ein Konkurrent oder gar ein neues, aufregendes Spielzeug in den Dunstkreis der Herde eingeschlichen hat, als direkt daneben ein zweiter Seelöwe auftaucht, in jugendlich-rüpelhafter Weise über seinen Artgenossen herfällt, worauf sich beide Kolosse überraschend behände um die eigene Achse drehen, eine große Ladung Wasser mit ihren breit aufgefächerten Vorderflossen in der Umgebung verteilen und schließlich wieder vom Meer verschluckt werden.
    Ende der Vorstellung!
    Als ich die weit aufgerissenen Augen meiner Frau sehe, die ihren Blick offensichtlich nicht mehr von der Stelle abwenden kann, wo gerade die Wildecker Herzbuben des Prince William Sounds in dunklen Tiefen versunken sind, rufe ich ihr zu: “Paddel einfach weiter, die tun nichts, die wollen nur spielen!”, muss aber augenblicklich am eigenen Leib spüren, dass die beruhigende Wirkung dieser Worte gegen Null geht und uns stattdessen das Herz bis zum Hals schlägt.



    Wir paddeln und paddeln, graben mit stoischem Ehrgeiz viele Tausend Liter Meerwasser um, ignorieren den aufkeimenden Schmerz in Arm- und Rückenmuskulatur und gönnen uns erst eine Pause, als wir den Windschatten von “East Flank Island” erreichen und sich das sichere Gefühl einstellt, den Seelöwen von “Ragged Point” entkommen zu sein.


    “East Flank Island” ist eine mittelgroße Insel mit einem einladenden Kiesstrand, ein paar potentiellen Stellplätzen für Zelte, aber leider ohne einen Tropfen Süßwasser. Zusammen mit ihrer wesentlich kleineren und unattraktiveren Schwester “West Flank Island” markiert sie das Ende der von Norden kommenden “Esther Passage”.
    Hier verlassen wir die bereits bekannten Pfade und brechen zu neuen Ufern auf, speziell zu der felsigen Steilküste an der Südseite von “Esther Island“.
    Der Weg dahin erweist sich als ein knochenharter Konditionstest. Der Wind ist inzwischen den Gezeiten klar überlegen und genießt seinen Sieg, indem er unfassbare Mengen Wasser in die “Esther Passage” hineindrückt, als wolle er den schmalen Kanal für alle Zeit in der Versenkung verschwinden lassen. Dunkle Wogen kommen in loser Folge frontal auf uns zu, rollen der Länge nach unter dem Boot hindurch, und bringen uns beinahe zum Stillstand, sodass es sich anfühlt, als würden wir gegen ein gespanntes Gummiseil anpaddeln.


    Doch als wir uns weiter von der “Esther Passage” entfernen, wird der Wind zunehmend schwächer, bis von ihm nur noch ein kaum spürbarer Hauch übrig bleibt, der es gerade noch vermag, die tiefblaue Weite um uns herum mit einem zarten Riffelmuster zu verzieren.
    Der hohe Wall aus blassgelbem, grobkörnigen Granit, der das Steilufer von “Esther Island” formt, strahlt eine angenehme Wärme ab, die nicht nur wir dankbar annehmen, sondern die auch die Tiere der Umgebung hierher gelockt hat. Die Luft ist bevölkert von Wasservögeln aller Couleur, Lachse katapultieren ihre silbrig glänzenden Körper kraftvoll aus dem Wasser, Seeotter planschen sorglos in Ufernähe und aus dem Wald dringt das so unverwechselbar krächzenden Rufen der frechen Diademhäher an unser Ohr.
    Obwohl uns all diese Tiere mit Sicherheit gewahren, zeigen sie keine Scheu, als sähen sie uns nicht als Eindringlinge oder Störenfriede. Vielmehr scheint es, als würde es uns nicht einmal gelingen in ihre Welt vorzustoßen, sondern lediglich Beobachter aus einer anderen Dimension zu sein, die sich weit hinter ihrem begreifbaren Horizont befindet.
    “Schau dir dieses lebensfrohe Treiben an“, sage ich mit einer präsentierenden Armbewegung, ”während manche Menschen auf das Paradies nach ihrem Tode hoffen, haben es die Tiere hier bereits zu Lebzeiten gefunden.”


    Ein Pärchen Zwergwale steuert auf uns zu, taucht dann aber weit vor unserem Boot ab und ward nicht mehr gesehen. Nur wenige Minuten später wiederholt sich dieses entzückende Schauspiel und noch ehe sich der Tag dem Ende zuneigt, werden nicht weniger als zwölf dieser kleinen Kerle unseren Weg gekreuzt haben.



    Plötzlich sehen wir in einer kleinen Bucht etwas senkrecht aus dem Wasser aufragen, langsam wieder versinken und kurz darauf erneut emporsteigen. Wir nähern uns dem Gebilde vorsichtig und schauen mit ungläubigen Staunen auf einen einzelnen Seelöwen, der in meditativer Pose seine linke, vordere Flosse aus dem Wasser streckt und minutenlang so verharrt. Beim Luftholen dreht er den Kopf kurz in unsere Richtung, taucht aber desinteressiert sogleich wieder ab und entzieht sich unseren Blicken, bis auf eine einzelne, aufrecht stehende Flosse wohlgemerkt.



    Gegen Abend erreichen wir erschöpft aber glücklich, die Köpfe voll mit neuen, aufregenden Erlebnissen und Begegnungen, unser anvisiertes Tagesziel, die bereits im Schatten versunkene “Lake Bay”. In der Karte prangt hier neben einer Fischzuchtstation ein kleines Zeltpiktogramm, was uns hoffen lässt, ohne nervenaufreibende Sucherei, zügig einen Platz für die Nacht zu bekommen.
    Allein der Unterschied zwischen unserer verklärten Vorstellung anhand der Fakten, die die Karte verspricht und der bitteren Realität ist kaum zu überbieten.
    Bereits weit außerhalb der “Lake Bay” stoßen wir auf die ersten toten Lachse, ausgezehrte Leiber mit zu hässlichen Fratzen verformten Kiefern und hohlen, milchigen Augen. Die Anzahl der vom Leben gezeichneten Kadaver steigt sprunghaft an, je näher wir unserem auserkorenen Übernachtungsplatz kommen. Angewidert paddeln wir in die Bucht hinein und treffen auf eine laute, stinkende Fischereiindustrie. Lange Reihen Zuchtkäfige sind vor der Küste im Wasser vertäut, ein großer Fischtrawler pumpt mit einem angestrengt würgendem Motor Lachsbrut an Bord und an Land sehen wir eine stattliche Anzahl Gebäude aus Wellblech, mit davor parkenden Pickup-Trucks und Quads.


    Der Euphorie des Tages nachhaltig beraubt, fahren wir tiefer in die Bucht hinein, wohl wissend, dass wir hier etwas finden zu müssen.
    “Esther Island” ist ganz sicher nicht der Ort, wo man aufs Geradewohl ein seichtes Ufer mit einem Platz für sein Zelt findet. Doch je näher das Ende der “Lake Bay” rückt, desto mehr sinken unsere Chancen, den erhofften Campingplatz aufzuspüren. Ein breites, waberndes Band aus verwesenden Fischen und alten Pflanzenresten, die von einer weißlich-trüben Brühe zusammengehalten werden, umschlingt die Uferlinie und es würde uns eine große Portion Überwindung kosten, diesen Teppich zu durchkreuzen.


    Stumm lassen wir uns um eine kleine Halbinsel aus großen, rund geschliffenen Felsen treiben, als das Todesurteil für all unsere Übernachtungsambitionen in Form eines stattlichen Schwarzbären am Ufer steht und große Stücke roten Fleisches aus einem fahlen, aschgrauen Fischkörper reißt.
    Dabei hebt das Tier regelmäßig seinen Kopf, wittert angestrengt in den angrenzenden Wald hinein, um danach seine Schlachtorgie fortzusetzen.



    Eine unsichtbare Strömung treibt uns indes näher an die Szene heran, von der zweifellos ein abstoßende Faszination ausgeht. Wir wagen es nicht, die Paddel ins Wasser zu stoßen, um das Boot auf Abstand zu halten. Als der Bär uns endlich bemerkt, schaut er uns einen Moment lang verdutzt aus kleinen Augen an, während seine Kiefer einen letzten Brocken Fisch zermalmen. Dann wirft er abrupt seinen pelzigen Körper herum und verschwindet lautlos im angrenzenden Wald.


    Umgehend verlassen wir die “Lake Bay” mit der beunruhigenden Erkenntnis, dass wir nun ein ernsthaftes Problem haben. Der kleine Zeiger der Uhr nähert sich unerbittlich der Zahl Acht, was bedeutet, das uns noch zwei, vielleicht zweieinhalb Stunden Tageslicht bleiben werden, um in der Welt der wenig einladenden Steilufer die eine Stelle zu finden, die uns für die Nacht Unterschlupf gewährt. Zusätzlich macht sich ein immer stärker zu Tage tretendes Hungergefühl bemerkbar, kein Wunder, die letzte Mahlzeit liegt sechs lange Stunden zurück.


    Zum baldigen Erfolg verdammt, versuchen wir unser Glück als erstes in der benachbarten “Quillian Bay”, die sich zusammen mit der “Lake Bay”, ähnlich zweier, zu einem Victory Symbol erhobener Finger, V-förmig in das Gebirge von “Esther Island” eingegraben haben. Doch wohin wir auch schauen, was immer wir versuchen, die Bucht präsentiert sich so kalt und abweisend, dass wir zwei Stunden später enttäuscht die Suche aufgeben, uns in einem Anfall von Heißhunger zwei Tafeln “Ritter Sport” Schokolade einverleiben und mit der Kraft und dem Elan eines Marathonläufers, dem man im Ziel zu verstehen gibt, er müsse nun noch nach Hause laufen, ein flaches Ufer auf der Westseite von “Esther Island“ ansteuern, von dem uns noch unsägliche acht Kilometer trennen.
    Den Glauben an unser Glück in seinen Grundfesten erschüttert, müde und desillusioniert, machen wir uns auf den Weg.




    In blasser Ferne erscheinen Rauchzeichen über dem Meer, Säulen aus weißer Gischt, welche, kaum hat sie der Wind zerstäubt, auf wundersame Weise erneuert werden. Danach erhebt sich ein gigantischer, dunkler Rücken mit einer winzigen Finne aus dem Meer und eine weiße, zu beiden Enden spitz zulaufende Fluke, die von einem schwarzen, zerfranster Rand begrenzt wird, beendet das imposante Schauspiel der rastlos ziehenden Buckelwale, für das wir nun kaum noch einen Blick haben.


    Mit wachsender Sorge beobachten wir blumenkohlartige Wolken, die wie ein fluffiger Brei durch die Hochtäler der angrenzenden Gebirgszüge fluten, die Sonne zu einem glutroten Ball werden lässt, sie kurze Zeit später verschluckt und die Welt in trübes Dämmerlicht taucht. Die eindringlich warnenden Worte der Vorhersage aus dem Marine Radio treiben uns tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. “GALE WARNING TONIGHT ! SMALL WATERCRAFT ADVISORY !” tönt es aus dem Lautsprecher. Auch das noch! Eine Sturmwarnung, die mit der dringenden Empfehlung einher geht, das Meer zu meiden und sich an Land einen sicheren Unterschlupf zu suchen. Tatsächlich sehen wir im nun schnell schwächer werdenden Tageslicht zahlreiche kleinere Boote in den schützenden Buchten vor Anker liegen. “Die Übernachten da nicht nur, die gehen vor dem Sturm in Deckung!” , fällt es uns wie Schuppen von den Augen.
    Bloß gut, dass ausgerechnet das kleinste und zerbrechlichste Boot weit und breit noch immer mitten auf dem Wasser ist und durch die Wellen pflügt.



    Mit galgenhumoriger Stimmung und schmerzenden Knochen werden wir an den breiten Strand eher angespült, als dass wir ihn aus eigener Kraft erreichen.
    Es ist beinahe 23 Uhr, ringsum herrscht stockfinstere Nacht, nur ein hell leuchtender Vollmond bewahrt der Landschaft ein paar ihrer Umrisse, während wir vor einer schwarzen Wand aus Nichts stehen und müde die Stirnlampen einschalten, um uns in eben diesem Nichts häuslich einzurichten, das Zelt aufzubauen und endlich was in den Magen zu bekommen.


    Das Ufer ist übersät mit Treibholz, dicke Stämme, die durch die Kraft des Ozeans ihrer Rinde und aller Äste beraubt wurden, hier gestrandet sind und anschließend durch einen unermüdlichen Wellenschlag unter vielen Tonnen Kies begraben wurden, sodass nur noch ein kleiner Teil von ihnen, wie die Lanze eines gefallenen Kriegers, in einer gebrochenen Haltung, bar jeden Stolzes vergangener Zeiten, in den Nachthimmel aufragt. Dahinter erkennen wir im schummrigen Lichtkegel der Stirnlampe einen schmalen, kaum zwei Meter breiten Wall, der dicht mit einem hohen Gras, aus dicken, fleischigen Halmen bewachsen ist. Mit hängenden Schultern, mühsamen Bewegungen und schlurfenden Schritten schleppen wir unsere Sachen vom Meer weg, errichten das Zelt, vertäuen den Kajak und bringen einen Topf Wasser zum kochen. Als es zehn Minuten später verführerisch nach süß-saurem Schweinefleisch und Reis duftet, kommen wir das erste Mal an diesem für uns so endlos erscheinenden Tag zur Ruhe. Die Anstrengung der letzten Stunden fällt von uns ab und eine riesige Welle aus Müdigkeit und Erschöpfung überrollt uns, der wir nicht das Geringste mehr entgegen zu setzen haben.
    Dieser Tag bricht bislang alle Rekorde. Er bescherte uns die häufigsten Tierbegegnungen, während wir die längste Zeit am Stück im Kajak STßen. Wir paddelten mit 43 Kilometern unsere bislang weiteste Strecke am Stück und bekamen es dabei mit der längsten Pause zwischen zwei Mahlzeiten zu tun.


    Um drei Uhr zehn am nächsten Morgen ziehe ich den Reißverschluss des Zeltes nach unten und schalte das Licht der Stirnlampe aus.
    Inzwischen war es August geworden.

  • Diesen RB habe ich total übersehen :EEK: :schaem:


    Die wunderschön geschriebene Einleitung und die Vorstellung des Reisegefährts machen aber soviel Lust darauf, mitzureisen, dass ich mich etwas verspätet dranhänge und in aller Ruhe alles nachlesen werde ;;NiCKi;: :!!


    Allerdings bin ich froh, muss ich selbst nicht in so ein Kanu steigen :schreck: und kann mir alles auf Deinen schönen Bildern ansehen :clab:

    • Offizieller Beitrag

    Ihr habt 43 km gepaddelt?????? :EEK::EEK:
    Ich wäre schon nach 5km tod zusammengebrochen. ;.Feel1;


    Nun wenigstens wettertechnisch war es ein schöner Tag. ;;NiCKi;:

  • Inzwischen war es August geworden.


    Das erinnert mich jetzt an Cast Away, als sich Tom Hanks mit dem Schlittschuh den Zahn ausgeschlagen hat und es schwarz um ihn wurde. Dann kam die Schrift ... "5 Jahre später" ;):gg: .


    Wahnsinn, diese Leistung :clab: . Und auch wenn euch zwischendurch die Lust verging, ihr musstet einfach weiterpaddeln. Sehnt man sich danach eigentlich nicht nach einem Pauschalurlaub mit All Inclusive ;,cOOlMan;: ?


    LG,


    Ilona

  • Was für ein Reisebericht - ganz ganz großes Kino :clab: :clab: :clab: !!!


    So wunderbar geschrieben ;dherz; !
    Ich musste- ab und an - direkt mal tief durchatmen, bei all den Wetterkapriolen und Hungerpausen!
    Ihr seid ja richtige Kämpfernaturen!
    Diese Art zu Reisen, wäre definitiv nichts für mich :neinnein: !
    Dennoch begleite ich euch gerne viruell weiter - bei dieser sagenhaften Reise, die für euch sicherlich ein unvergessliches Abenteuer war!

  • Was für ein Tag!
    Seelöwen, Wale und einen Bären gesehen – klasse. Aber dann die toten Lachse.
    Und dann 43 km paddeln – das klingt unglaublich :EEK: .


    Wie habt ihr eigentlich eure Vorräte geplant? Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, für eine längere Zeit die benötigten Lebensmittel einzuplanen.
    Habt ihr genau festgelegt, was bzw. wie viel ihr täglich essen dürft oder konntet ihr die Verpflegung doch ein wenig flexibel handhaben?


    Gruß
    Gundi

  • Hallo an Alle und DANKE fürs Lesen!!!

    Hehe, also derart einsam und abgeschnitten wie Tom Hanks in dem Film haben wir uns nie gefühlt...wir hätten auch keinen Volleyball dabei gehabt! ;)


    Und einen All inclusiv Urlaub haben wir noch nie gemacht, das schiebe ich noch um (hoffentlich) viele Jahre, wenn wir dann mal alt sind und durch keine engen Canyons mehr krauchen können oder das Boot nicht mehr angehoben kriegen, dann vielleicht...

    Ihr habt 43 km gepaddelt?????? :EEK: :EEK:
    Ich wäre schon nach 5km tod zusammengebrochen. ;.Feel1;

    Ach was Ulrich, so schnell bricht keiner zusammen!!


    Diese Art zu Reisen, wäre definitiv nichts für mich :neinnein: !

    Das war auch meine Hauptintension mich an die RB - Schreiberei ranzuwagen, um euch mal eine Gegend vorzustellen, in der ihr nicht schon jeden Stein kennt. Obwohl das bestimmt auch seinen Reiz hat, auf anderen Fotos das zu sehen, was man selbst bereits in Natura bewundern durfte.


    Und dann 43 km paddeln – das klingt unglaublich :EEK: .


    Wie habt ihr eigentlich eure Vorräte geplant? Ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, für eine längere Zeit die benötigten Lebensmittel einzuplanen.
    Habt ihr genau festgelegt, was bzw. wie viel ihr täglich essen dürft oder konntet ihr die Verpflegung doch ein wenig flexibel handhaben?


    Gruß
    Gundi

    Klepper, der Hersteller unseres Bootes, gibt den Aktionsradius für seine Kajaks mit 50 Kilometer pro Tag an, was in erfahrenen Paddlerkreisen, wo diese Art von Kajak als eine lahme aber sichere Ente gilt, als absolut utopischer Wert angesehen wird. 30 Kilometer pro Tag werden dort als eher realistisch betrachtet. Seit diesem 31. Juli wissen wir, wie sich 43 Kilometer anfühlen und ich möchte bezweifeln, dass wir noch weitere 7 km geschafft hätten!


    Die Proviantplanung war bei der Reisevorbereitung das zentrale Thema, denn wenn wir eines im Voraus wußten: mit der Verpflegung steht oder fällt die gesamte Tour! Dabei haben wir zB. die Müslimenge zum Frühstück so banal wie praktisch zu Hause bestimmt: Müsli auf den Tisch, Müslischale dazu und dann: "Kipp mal rein, wieviel du zum Frühstück bedenkenlos schaffen würdest." Das ergab dann zusammen für uns beide 230g. Großzügig aufgerundet kamen wir so auf 300g pro Tag, plus die leckere Ovomaltine, die auch noch ein paar Kalorien brachte, fertig war ein nahrhaftes und sättigendes Frühstück!


    Wir haben dann für geplante 23 Tage auch nur genau 23 dieser Portionen dabei gehabt, genauso wie 23 Päckchen gefriergetrocknete Mahlzeiten. Nur bei den Nudeln waren wir großzügig und hatten zum Schluß über 1000g übrig. (Daran hatte natürlich auch der Lachs schuld.)


    UNABHÄNGIG DAVON: dieser Trip war in seinem ganzen Verlauf derart vielschichtig, dass ich hier eine ganze Reihe Situationen und Erlebnisse kurzerhand weglassen muss, da es sonst den Rahmen sprengen würde. Aber passend zum Thema und weil Gundi auch den Tag getroffen hat, noch diese kleine Episode als Ergänzung:


    Als wir in dieser Nacht endlich soweit waren, dass wir zum Essen kamen, wurde meiner Frau beim Geruch des süß-sauren Eintopfs sofort übel. Sie konnte partout die Suppe nicht anrühren. Mir kam die Sache ganz gelegen, denn im Handumdrehen verdrückte ich gierig die eigentlich für zwei Personen gedachte Portion, was nicht wirklich ein Problem war.


    Danach dauerte es noch eine Zeit, bis ich meine arme Frau dazu überreden konnte, eine Schüssel voll Müsli zu essen, denn auch sie brauchte dringend Energie nach diesem Tag. Dennoch wußten wir, wenn wir außerplanmäßig eine Frühstücksportion verdrücken, dann würde es nicht bis zum Schluß reichen. Also wendeten wir einen kleinen Kniff an und beschlossen, an einem der nächsten Tage länger zu schlafen und dann sofort mit dem Mittagessen zu beginnen...um so einmal Müsli zu sparen.
    =)

    • Offizieller Beitrag

    Das erinnert mich jetzt an Cast Away


    Jetzt wo du es sagst. ;;NiCKi;:
    Für 23 Tage im Voraus das Essen planen, Respekt, Respekt. Es gibt Leute die sind schon mit einer Woche überfordert.
    Und 43km paddeln, wir fanden das 43 km mit einem Segelboot schon viel sind. :EEK:

    • Offizieller Beitrag

    Nein, ich sage nicht, dass ich spätestens nach 1/4 der Strecke Blasen an den Händen hätte.....


    Aber die Natur entschädigt einiges. :!!


    Hoffentlich geht der Sturm gut vorbei.

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