Der PRINCE WILLIAM SOUND - Alaskas widerspenstiges Paradies

  • 26. Juli 2012




    Bereit zum Weiterziehen.

    Die beiden Flaschen stammen aus Deutschland. In ihnen transportieren wir Benzin zum Kochen, der ursprünglich in einem Weißblechcontainer verkauft wird.Beim ersten Salzwasserkontakt beginnt Weißblech aber sofort munter zu rosten...


    Good Bye Harriman!

    Zwar fleht das Herz: “Bitte bleib”, doch der Kopf sagt: “Zieht weiter”.
    Heute ist der Tag des Abschieds vom Gletscherparadies gekommen. Wir brechen die Zelte ab, räumen unser Lager und fahren ein letztes Mal hinaus auf den Fjord. Keiner von uns hat es dabei sonderlich eilig, wir möchten diesen uns lieb gewonnenen Anblick so lange wie möglich genießen.
    Wir schweigen.
    Das Unterbewusstsein spült eine immer wiederkehrende Liedzeile nach oben, zunächst kaum wahrnehmbar, dann immer dringlicher. Schließlich geben wir dem inneren Verlangen nach und singen laut und mit schiefen Tönen:
    “An Tagen wie diesen...
    …wünscht man sich Unendlichkeit …
    ... an Tagen wie diesen …
    ...haben wir noch ewig Zeit…
    ... in dieser Nacht der Nächte …
    ... die uns so viel verspricht …
    ... erleben wir das Beste …
    ... und kein Ende in Sicht!”



    Frei nach Jack Dawson "Ich bin die Königin der Welt..."


    Leider ist das Ende sehr wohl in Sicht.
    Im Barry Arm erfasst uns eine kräftige Strömung, die als geschwungenes Band an der Wasseroberfläche sichtbar ist und gibt uns ordentlich Vorschub. Ein letzter wehmütiger Blick zurück, dann schiebt sich der Felsbuckel von “Point Doran” übermächtig ins Bild und verdrängt den Harriman Fjord aus der Realität in unsere Erinnerung.




    Point Pakenham und die Weite des College Fjords



    Wir kommen zügig voran.
    Bereits in der zweiten Stunde des Nachmittags erreichen wir eine Bucht in der Nähe von “Point Pakenham“, ab dem sich Port Wells in Barry Arm und College Fjord teilen.
    “Tidal Flat” steht quer über dieser Bucht in großen Lettern in unserer Karte. Von diesen Flachwassergebieten, die bei Ebbe meist vollständig trocken fallen, geht für uns und unser Boot, mit seinen knapp fünfzehn Zentimetern Tiefgang, kaum eine Gefahr aus. Wir müssen nur auf der Hut sein, sonst liegen wir hier unter Umständen für sechs Stunden fest.
    Wir landen an und kochen unser Mittagssüppchen. In viel größerer Anzahl als noch im Harriman Fjord, sind die Ufer gesäumt mit toten Bäumen. Auch sie erzählen die Geschichte vom verheerenden Karfreitagsbeben von vor 48 Jahren.


    Nach dem verspäteten Lunch motivieren wir uns gegenseitig, wie ein Trainer eines hoffnungslos unterlegenen Fußballteams es eventuell tun würde, um aus seinen Spieler auch noch die letzten Energiereserven herauszukitzeln.
    Es gilt den College Fjord zu überqueren - sechs Kilometer offener Ozean.
    Eine Stunde lang nur wir zwei, unser Kajak und das Meer.
    Auf geht’s!

    Wir umrunden “Point Pakenham” und halten dahinter direkt auf die offene See zu. Nur schemenhaft ist die andere Seite des College Fjords zu erkennen, alles verschwimmt zu einer trüben Masse in der Ferne. Wir paddeln zügig und mit kräftigen Bewegungen. Die bleierne Weite des Fjords wirkt wie ein übergroßer, schwerer, Falten werfender Teppich, der nur darauf wartet, dass ihn jemand glatt zieht.
    Etwa in der Hälfte der Strecke werden uns die Arme schwer. Pause.
    Hier so gefangen im Nichts, fühlt sich dieser Augenblick an, als würden wir in einem freien, leeren Raum schweben. Vor und hinter uns ein milchig - verschwommenes Gebirge, backbords, in blauer Ferne, die riesigen Eisströme des College Fjord und an Steuerbord starren wir gar in eine dichte Nebelwalze, die sich vom Morgen über den Tag zu retten scheint. Nach oben das unendliche Blau des Himmels und vom Grund des Meeres trennen uns dreihundert Meter eiskaltes Wasser.
    Dafür brennt die Sonne heiß und erbarmungslos auf uns nieder. Die größere Entfernung zu den Gletschern spüren wir deutlich an der gestiegenen Temperatur. Trotzdem wagen wir es nicht die warme Paddeljacke auszuziehen, selbst der heute so überflüssig erscheinende Regenhut bleiben auf dem Kopf. Das Sonnenlicht wird auf dem Meer durch jede noch so kleine Woge dutzendfach reflektiert und würde uns binnen kürzester Zeit einen schmerzhaften Sonnenbrand verpassen. “Alaska Slow Bake” nennen das die Einheimischen.



    Wir brauchen die Hilfe der Satellitennavigation, um sicher und schnell das gegenüber liegende Ufer zu erreichen. Wir steuern auf eine größere, dem Festland weit vorgelagerte Insel an, da uns der Gedanke gefällt, heute wie Robinson zu campieren. Die Insel wird von einem bewaldeten Kamm dominiert, eine tief eingeschnittene, schmale Bucht trennt sie fast in zwei gleichgroße Hälften. Der andere Teil ist hügelig und nur mit mannshohen Bäumchen und Beerenkraut bewachsen. Weit verstreut liegen in dichtes Moos eingebettete, badewannengroße Moortümpel, die mit braunem, aber durchaus trinkbarem Wasser gefüllt sind. Die komplette Insel ist von einer viele Meter dicken Schicht Torf überzogen, die beim Laufen nachgibt und die Tritte schaumgummiartig dämpft.





    Wir errichten das Zelt weit oberhalb der Wasserlinie, mit einem schönen Blick auf die winterlich angehauchten Berge des Festlandes.
    Als am Abend die Sonne lange Schatten wirft, zeigt unsere Insel ihr wahres Gesicht: es ist feucht, es ist warm, es ist Alaska!




    Schadbild einer biblischen Plage


    Ganze Schwadronen von stechenden und beißenden Ungeziefer fallen gierig über uns her. Dabei sind die allgegenwärtigen Mosquitos noch nicht einmal unser ärgster Feind. Als viel nerviger und aufdringlicher empfinden wir die Gnats, winzige, schwarze Fliegen, die mit Vorliebe in Augen, Nase und Ohren fliegen und sich aus Ermangelung eines Saugrüssels in Windeseile durch die Haut fressen, bis sie ihren Durst an unserem Blut stillen können.
    Die ganze miese Bagage bekommt Unterstützung von einer fast doppelt so großen, rötlich gefärbten Fliege, die aus überdimensioniert wirkenden, feurig roten Augen ihre Opfer anglotzt, bevor sie hemmungslos kleine, schmerzhafte Krater beißt.
    Es ist die Nordlandplage schlechthin und es gibt kein Entrinnen!
    Unser Alltag hier wird von wilden Flüchen und unkontrollierten Luftboxmanövern bestimmt. In regelmäßigen Abständen weisen wir uns gegenseitig auf winzige, schwarze Klümpchen hin, die unvorteilhaft an Kinn, Stirn oder Wange kleben und Zeugen einer vorangegangenen Selbstzüchtigung sind. Wahlweise werden sie von einem kleinen, roten Ring umgeben, je nachdem wer schneller war.




    Als es kaum mehr auszuhalten ist, reiße ich mir in einem Akt von Masochismus die Kleider vom Leib und stürze mich mit einem kühnen Kopfsprung in die eiskalten Fluten der Bucht.
    Okay, ich gebs zu, ist jetzt reichlich dick aufgetragen.
    In Wahrheit hat es fast solang gedauert, als wenn ich mich bei Niedrigwasser ans Ufer gestellt und auf die Flut gewartet hätte. Doch irgendwann reichte mir das Wasser bis zum Hals. Ich erkenne den Irrsinn dieser Idee und verfalle in eine zwanghafte Schnappatmung. Ich mache eiligst ein paar wenige Schwimmzüge und rette mich schließlich zurück ans Ufer.
    Schwimmen in einem Wasser, das vor gefühlten zehn Minuten noch ein massiver Gletscher in Alaska war, ist nichts, was einem im Leben auf irgend eine Art und Weise weiter bringt. Aber man kann prima vor seinen Kumpels damit angeben und hat was, womit man sich von Günter Jauch bei “Wer wird Millionär” vorstellen lassen kann.







    Die letzte Stunde des Tages könnte man als “Schlachtpartie in Pastell” bezeichnen. Wir erklimmen den höchsten Punkt der Insel und haben von hier oben einen schönen Blick über den College Fjord zur einen und den Port Wells zur anderen Seite. Fischerboote liegen verstreut vor Anker und die Chugach Mountains umhüllt ein zartes, rosafarbenes Licht. Das Ungeziefer verfällt in einen Fressrausch, was unseren Filmaufnahmen einen altertümlichen Touch verleiht. Lediglich mit dem Unterschied, dass jeder Punkt, der durchs Bild schießt, nach Blut giert.

    • Offizieller Beitrag

    Erst wollte ich schreiben: Paradiesisch schön, hier bleibe ich.


    Damit tropft das Blut aus dem Posting hervor und mich juckt es nun überall. :EEK:

  • Ich glaube, dass noch keiner zuvor die "biblische Plage" so lebendig beschrieben und dokumentiert hat :clab: . Von Gnats hatte ich zuvor noch nie was gehört, aber ich war auch noch nie in Alaska.


    Tolle Bilder :clab::clab::clab: und ich kann mir vorstellen, dass du bei dem einen gar nicht so viel zensieren musstest, weil das Wasser so kalt war ;haha_ .


    LG,


    Ilona

  • Paradiesisch schön, hier bleibe ich.

    ;:;ScHlOt2;; Schön definitiv ja, aber lieber im Warmen mitlesen als selbst in der Kälte zu sein. Die Fotos sind wunderbar. :!!


    Schadbild einer biblischen Plage

    Die Viecher sind ja der reinste Horror. Hättet ihr nicht anderswo euer Zelt aufschlagen können?


    ich kann mir vorstellen, dass du bei dem einen gar nicht so viel zensieren musstest, weil das Wasser so kalt war .

    ;haha_ ;haha_ ;haha_

  • Was für Wahnsinns-Fotos vom Sonnenuntergang und der Königin der Welt :wow: :wow: :wow:

    Wisst ihr noch wer Jack Dawson war? Im Zweifel, der hier: http://de.wikiquote.org/wiki/Titanic


    Ich glaube, dass noch keiner zuvor die "biblische Plage" so lebendig beschrieben und dokumentiert hat :clab: . Von Gnats hatte ich zuvor noch nie was gehört, aber ich war auch noch nie in Alaska.

    Jo, Gnats ist aber keine bestimmte Art, sondern eher ein lapidarer Sammelbegriff für allerlei blutgieriges Fliegengetier.

    Zitat von »Saguaro«




    dass du bei dem einen gar nicht so viel zensieren musstest, weil das Wasser so kalt war ;haha_ .

    :nw: Ich hab keine Ahnung, auf was du anspielst???????????????????????????????? ;)



    Hoffentlich war dann wenigstens euer Zelt eine moskitofreie Zone.


    Gruß
    Gundi

    Das stimmt, 2 Quadratmeter Ruhe. Wir haben uns an diesen Tagen immer sehr auf unser Zelt gefreut.

    Zitat von »WeiZen«




    Paradiesisch schön, hier bleibe ich.
    ;:;ScHlOt2;; Schön definitiv ja, aber lieber im Warmen mitlesen als selbst in der Kälte zu sein. Die Fotos sind wunderbar. :!!

    An diesem Tag war echtes Sommerwetter. Von Kälte kann wirklich nicht die Rede sein. Wir haben nicht gemessen, aber gefühlt waren es weit über 20°C - garantiert!


    Die Viecher sind ja der reinste Horror. Hättet ihr nicht anderswo euer Zelt aufschlagen können?

    Flache Ufer mit zeltbaren Plätzchen sind teilweise rar gesät. Es müssen
    ja auch auch einige Anforderungen erfüllt sein, damit ein Ort überhaupt
    zum Übernachten taugt: ebene Fläche für Zelt und Lager mit mindestens
    100 m Entfernung dazwischen, Baum für Bärenhang (viel schwieriger als
    gedacht) und schließlich trinkbares Wasser (ist recht einfach zu finden,
    wenn man einen Filter dabei hat).
    Es ist aber auch schlichtweg
    unmöglich in Alaska im Sommer einen Zeltplatz zu finden, an dem man
    nicht von Ungeziefer geplagt wird. Ausnahme: wenn es regnet, dann hat
    man Ruhe, dafür wirst halt dann nass...Fazit: es ist nie alles
    beisammen... :P

  • Hallo,
    ich melde mich jetzt zum ersten Mal, habe aber von Anfang an deinen Bericht verfolgt.
    Ist ja wirklich Wahnsinn, was ihr euch getraut habt :clab::clab::clab:
    Meinen gößten Respekt und vielen, vielen Dank, dass du das mit uns teilst! :!!
    Ich denke, man kann sich die Großartigkeit dieser Landschaft nur schwer vorstellen :clab::clab::clab:
    Klasse! (bis auf die Gnats, die klingen gruselig :EEK: )


    LG Annika

  • 27. Juli 2012

    Am nächsten Morgen haben wir es doppelt eilig von der Insel zu verschwinden. Zum einen wollen wir verhindern, dass die beißende Brut uns bis auf die Knochen abnagt, zum anderen lässt die einsetzende Ebbe unseren Fluchtweg bedrohlich schrumpfen, sodass es fraglich ist, ob wir in zwei Stunden überhaupt noch Wasser zum Paddeln vorfinden werden.


    Gesagt, getan.
    Wir überleben den Angriff der Blutsauger, dafür scheint unsere Frühstücks- und Packzeit eine feste Größe zu sein. Das hat wiederum den Vorteil, dass der Morgenkaffee einen kompletten Systemdurchlauf schafft und somit keine Chance bekommt, uns unterwegs zu einer ungeplanten Pause zu zwingen.

    Als wir abfahrtbereit sind, ist aus einer ehemals verträumten, kleinen Bucht ein abgemagerter, flacher Wassergraben geworden.
    Wir legen unser Kajak an die Leine und treideln es in tieferes, fahrbares Wasser, was stark an die morgendliche Gassirunde mit dem Hund erinnert.


    Danach folgen wir einer monotonen Steilküste in südliche Richtung. Von dunklen Bäumen beäugen Weißkopfseeadler misstrauisch die Umgebung und kleine, munter sprudelnde Bachläufe ergießen sich geräuschvoll in die See. Davor haben die Gezeiten riesenhafte, schwarze Steinquader entblößt, die einst durch einen urzeitlichen Felssturz im Meer gelandet sind und nun mit Seepocken, Algen und Blasentang besetzt sind.
    Hoch oben, jenseits der Baumgrenze, haben gewaltige Lawinen an besonders steilen Abhängen lange Narben hinterlassen und das Gebirge bis auf seine graue, felsige Basis abgehobelt. In tief eingeschnittenen Rinnen, die chaotisch gefüllt sind mit Gesteinsschutt und Geröll, drängen lang gestreckte Bänder aus schmutzig gewordenem Altschnee bis weit in den Regenwald hinein.
    Sie entstammen einem alles unter sich begrabenden, gleißenden Gletscherfeld, aus dem lediglich die allerhöchsten Gipfel der Berge dazu auserwählt scheinen, wie kleine, leblose Inseln aus einem Ozean aus Schnee und Eis aufzuragen.


    Obwohl der Kalender bereits das Ende des Sommers prophezeit, hält der letzte Winter die Höhenlagen des Küstengebirges nach wie vor in einem eisigen Klammergriff gefangen und erstrahlt in seiner Macht mit einem feindseligen, kalten, blauen Leuchten im Schatten der Berge.



    Die ersten Meter in der Esther Passage



    Blick zurück zum Eingang der Esther Passage: die Klondike Express zieht vorbei. Es sollte unsere letzte Begegnung mit dem Katamaran sein.


    Nach sechs Kilometern knickt die Uferlinie das erste Mal ins Landesinnere ab und bildet auf den ersten Blick eine offene Bucht, die sich im hinteren Teil stark zu verjüngen scheint.
    In Wahrheit handelt es sich um die Esther Passage, eine schmale, langgestreckte Wasserstraße, die Port Wells mit dem zentralen Sound verbindet. Gebildet wird die Esther Passage vom Küstengebirge auf der Festlandsseite und einer 127 Quadratkilometer großen Insel namens Esther Island.
    Esther Island schmückt sich mit einem brandungsumtosten Minigebirge, das konsequent auf jedem verfügbaren Inselquadratmeter steile Granitfelsen aufragen lässt und deshalb einer trutzigen Burg nicht unähnlich ist. Nur an sehr ausgewählten Stellen existiert ein schmaler Uferstreifen, der aber in den meisten Fällen gerade zum Anlanden reicht und kaum Platz für ein einzelnes Zelt bietet.


    Für Kajakfahrer ist die Esther Passage etwas tricky zu befahren, da hier der gewohnte Gezeitenmodus außer Kraft gesetzt wird.
    Stattdessen strömt das Wasser bei Flut von beiden Seiten in die Passage ein und läuft anschließend ebenfalls beidseitig wieder ab.

    Da uns die gestrige Etappe noch etwas in den Knochen steckt, wir es aber aus reinem Selbsterhaltungstrieb unmöglich noch einen Tag länger auf der Insel ausgehalten hätten, entscheiden wir uns dafür, die vorherrschenden Gezeitenkräfte zu unseren Gunsten zu nutzen und nach einem Camp etwa in der Mitte der Esther Passage zu suchen.
    Tatsächlich weist die Karte an recht zentraler Stelle eine winzige Bucht aus, eigentlich mehr eine Delle in der Uferlinie, wo sich die Höhenlinien nicht als dickes Knäuel an der Küste entlang winden, sondern etwas weiter auseinander ziehen, was uns auf ein weniger steiles Gelände hoffen lässt.



    Angelandet am neuen Lagerplatz mitten in der Esther Passage



    Vor Ort entpuppt sich die Stelle als eine große, Gras bewachsene Lichtung in nur leichter Hanglage, auf der sich erschreckende Parallelen zu unserem letzten Übernachtungsort, dem Zeltplatz des Schreckens, geradezu aufdrängen.
    Obwohl wir es mit der Erfahrung von Gestern besser wissen müssten, nehmen wir unser neues Domizil mit sorgloser Naivität in Beschlag.
    Zum ersten Mal überhaupt bauen wir das Tarp als reinen Sonnenschutz auf, ein paar Meter vom kühlenden Meer entfernt ist die Hitze kaum noch erträglich. Wir laufen barfuss umher, der Boden ist weich und jeder Schritt lässt kühles Wasser mit einem saftigen, schmatzenden Geräusch durch unsere Zehen quellen.



    In morastigen Senken wächst Stinktierkohl, eine außergewöhnliche Pflanze mit großen, hellgrünen, rhabarberähnlichen Blättern, die es zum Schutz vor Fressfeinden vermag, Kalziumverbindungen aus dem Boden aufzunehmen und in ihre Zellen einzulagern. Das gelingt nur sehr wenigen Pflanzen und hat den Effekt, das ihre einladend saftig erscheinenden Stängel und Blätter einen widerlichen Biss entwickeln, der sich anfühlt, als würde man auf Glas beißen.



    Wir filtern Meerwasser und kochen Tee daraus.


    Das wenige, frei verfügbare Wasser in diesen Senken ist für uns nicht zu gebrauchen. So vorsichtig wir auch versuchen es abzuschöpfen, wirbeln wir doch Unmengen von feinen, verfaulten Pflanzenresten auf, was uns auf unappetitliche Art und Weise an eine dieser kitschigen Schneekugeln erinnert.
    Das Wasserproblem löst sich zum Glück nur wenig später auf wundersame Weise in Luft auf, als wir herausfinden, dass die offensichtlich völlig übersättigten Böden rings um unsere kleine Bucht ihre Wasser in riesigen Mengen in die Esther Passage schwitzen und so das salzige Meerwasser bis zu einem nicht wahrnehmbaren Grad verdünnen.

    Mit dem seltsamen Gefühl etwas zu tun, wovon jedes Kind weiß, das man es nicht machen sollte, schöpfen wir unser Trinkwasser direkt aus dem Meer, filtern es und kochen davon Tee und Suppe.



    Fotografieren und Filmen unmöglich: die blutsaugende Brut kennt keine Gnade!


    Früher als sonst fingern am Abend lange Schatten durch die tiefe Schlucht der Esther Passage, vertreiben die so unpassend wirkende Hitze und lassen dafür ganze Armeen kleiner Blutsauger in exstatische Höchstform auflaufen.
    In den nächsten Stunden erleben wir hier unser ganz persönliches Waterloo, was unsere Aktivitäten massiv einschränkt oder gänzlich zum Erliegen bringt, uns auf alle Fälle mit dem Gefühl absoluter Unterlegenheit an den Rand der Kapitulation führt, als würde man mit einem Ring Fleischwurst um den Hals vor einem Rudel wild gewordener Straßenköter versuchen wegzurennen.


    Während des Abendessens laufen wir mit dem Teller in der Hand ziellos umher, getrieben von einer kleinen, schwarzen Wolke, die wütend hinter uns herjagt und gierig auf ihre Chance wartet. In aller Eile würgen wir im Gehen ein paar Bissen hinunter, schlagen, klatschen und wedeln aber schon im nächsten Moment wieder wie geisteskrank um uns, was sich als so wirkungsvoll erweist, als wenn ein Hund den Mond anbellt.


    Bis tief in die Nacht hinein fahren Fischerboote durch die Esther Passage.


    Uns bleibt nur die Flucht.
    Wir verbarrikadieren uns im Zelt und stöhnen erleichtert auf, dass der spontan aufgetretene Tinnitus, ein widerliches summendes Geräusch im Ohr, irgendwie mit der blutrünstigen Meute jenseits der Zeltwand zu tun haben muss.

    Trotzdem finden wir an diesem Abend bis zu weit vorgerückter Stunde keinen Schlaf. Laut dröhnende Motoren, die zu übertrieben hell erleuchteten Fischtrawlern gehören, fahren bis spät in die Nacht durch die Esther Passage nach Süden. Was auch immer sie mit diesem Eifer hier hertreibt, wir würden es am nächsten Tag erfahren…

  • In morastigen Senken wächst Stinktierkohl,


    Interessant - ich dachte zuerst, der stinkt, wenn man ihn berührt, aber dass er "glasig" schmeckt ;][; . Müsste dann eigentlich Glaskohl heißen ... ;):gg: .


    Wir verbarrikadieren uns im Zelt und stöhnen erleichtert auf


    Was ich da schon wieder gedacht habe ... :pfeiff: - ok ich :schaem: ja schon :gg: . Das muss ja die Hölle mit den Blutsaugern gewesen sein. Hättet ihr die "gefüttert", dann wäre anschließend eine Bluttransfusion nötig gewesen ;,cOOlMan;: .


    LG,


    Ilona

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