09. Oktober 2019 - Wieder so ein toller Tag
An diesem Morgen gehen wir zu Fuß zu unserer Verabredung. Dazu müssen wir nur die Straße überqueren - die Route 66 natürlich. Aber vorher gibt’s noch ein kleines Frühstück in der Canyon Lodge. Ein bisschen Talk noch mit Reinhard, unserem Gastgeber und dann packen wir die Kamera ein. Und das Handy als Aufnahmegerät. Mehr brauchen wir nicht. Gepäck bleibt noch im Zimmer, das Auto steht davor. Es ist kurz vor acht in Seligman, Arizona und das Städtchen döst scheinbar noch vor sich hin. Noch sind keine Touristen in Sicht. Das Wetter ist prima, die Sonne scheint, Arizona meint es weiterhin gut mit uns.
Gleich werden wir uns ausführlich mit Angel Delgadillo unterhalten können, dem „Vater der Historic Route 66“. Oder der „Guardian Angel“, wie er auch oft genannt wird. Natürlich freuen wir uns auf diese Begegnung ganz besonders. Es ist nicht unsere erste, aber in den Jahren vorher haben wir nur ein paar Worte wechseln könnte und das „Standard-Selfie“ produziert. Das soll heute anders werden, denn wir haben vor, Angel ausgiebig zu seiner Geschichte und zu „seiner“ Route 66 zu befragen. Dazu haben wir für acht Uhr einen Termin mit ihm ausgemacht. Genau gesagt mit seiner Tochter … , die über seinen Kalender wacht, den Angel ist bis heute ein gefragter Mann.
Und da kommt er auch schon mit seinem Fahrrad angeradelt. Pünktlich auf die Minute. Jeanshemd, Baseball-Cap und ein freundliches Lächeln in Gesicht. So kennt man ihn. Wir nehmen Platz in seinem „Barber Shop“, er auf seinem Friseurstuhl, wie sich das gehört. Eine volle Stunde lang erzählt er uns seine Geschichte, wie das alles war damals an der Route 66. Von den dreißiger Jahren, von der „Dust Bowl“, von den „Okies“, die auf ihrem Weg nach Westen vorbei kamen, vom Betrieb und den guten Zeiten der 1950er und 1960er Jahre, vom plötzlichen „Tod“ der Route 66, als die Interstate eröffnet wurde. Von den Jahren der Entbehrungen, als seine kleine Stadt einfach vergessen wurde. Von seiner Idee, die „Historic Route 66“ zu schaffen und für den Tourismus interessant zu machen. Von den Schwierigkeiten mit den Behörden, die zuerst davon überhaupt nichts wissen wollten. Und von der jungen Frau aus Deutschland, die eines Tages in seinen Laden kam.
Dazu möchten wir ihn wörtlich zitieren, denn dieses Zitat hat auch Platz gefunden auf der ersten Seite des Buches:
„Man vergisst so viel im Leben, aber es gibt Momente, die vergisst man nie. Vor einigen Jahren betrat eine junge Frau aus Deutschland unseren Laden. Sie kam auf mich zu, genau hier an dieser Stelle, und sagte: „Hi Angel, ich möchte dir die Hand geben und dir danken für alles, was du für die Route 66 getan hast.“ „Moment,“ sagte ich, „das habe ich nicht allein getan, das waren ‚we the people’, die das getan haben.“ Sie sagte: “Nein, das warst du, der diese Idee hatte und der nicht aufgegeben hat. Es kann so viel aus der Idee eines Einzelnen entstehen. Hey, verstehst du, du Dummkopf? Das hast DU geschafft!“
So war das. Und ich denke, daran mitgewirkt zu haben, der Route 66 zu ihrer historischen Wiedergeburt zu verhelfen, ist alles, was ich tun konnte. Und dann kam das Leben zurück. Zurück an unsere Straße.
Wir können daraus lernen, sich nicht auf andere zu verlassen, wenn man wirklich etwas erreichen will. Glaube an dich selbst. Dafür lebe ich heute.“
Beeindruckend war das. Ihm zuzuhören, wie er seine Geschichte erzählt. Geduldig beantwortet er Fragen, er lässt sich viel Zeit dafür. Zwischendurch lugt der ein oder andere Tourist herein, aber alle ziehen sich zurück, als sie merken, dass hier ein Interview stattfindet.
Jetzt fehlen nur noch die Fotos. Wir bitten Angel, mit uns auf „seine Straße“ zu kommen, wir wollen ihn natürlich dort fotografieren. Kein Problem, wir werden ein Stück auf der 66 raus aus Seligman fahren und dort die Bilder machen. Angel schwingt sich mit seinen damals 92 Jahren hinter das Steuer seines betagten Pick-Up Trucks, der mit Arizona-Fahnen und Route 66 Schildern geschmückt ist. Ellen darf neben ihm Platz nehmen und mitfahren.
So etwas macht richtig Spaß, Angel ist super drauf und macht alles mit, auch die „Regieanweisungen“ für das Shooting. Am Ende wird es uns schwer fallen, das beste Bild auszusuchen. Allerdings haben wir Angel zweimal im Buch, denn eines der Fotos passt so wunderbar auf das Rückseiten-Cover.
Diese knapp zwei Stunden in Seligman gehörten ganz sicher zu den Highlights dieser Reise. Obwohl das eigentlich für alle Meetings gilt, denn alle Beteiligten haben so großartig mitgemacht.
Dann heißt es für ganze drei Tage Abschied nehmen von Seligman. Drei Tage? Yep, denn in drei Tagen werden wir auf der Rückreise wieder hier Station machen. Reinhard in der Canyon Lodge hat das Zimmer schon gebucht und so können wir uns an diesem Vormittag auf den Weg nach Kalifornien machen. Natürlich nehmen wir die klassische Route über die 66 über Truxton, Valentine nach Antares, wo wir am „Giganticus Headicus“ anhalten und eine Lunch-Pause einlegen. Um was es sich dabei handelt, kann man im Route 66 Thread nachlesen. Im Cafe treffen wir auf Whitney, mit der wir uns ein wenig unterhalten. Wir sind die einzigen Gäste und sie hat nichts weiter zu tun. Sie interessiert sich für Ellen’s Buch, ein entsprechendes Foto gehört dann natürlich dazu.
Weiter geht’s nach Kingman, wo wir diesmal nicht die Strecke durch die Black Mountains nehmen (Oatman), sondern in Richtung Yucca abbiegen. Hier verlief eine frühere Streckenführung der Route 66. In Yucca finden sich einige fotogene Reste aus dieser Zeit. Über die I-40 erreichen wir die Grenze zu Kalifornien.
Unser Ziel heute ist das Fender’s River Resort, wo wir immer übernachten, wenn es sich mit Needles dafür ausgeht. Hier werden wir schon von Rosie Ramos erwartet, die uns schon zum zweiten Mal die Übernachtung in der „Suite“ direkt am Colorado River sondiert. Wir können das Fender’s nur jedem empfehlen, der in Needles übernachtet. Rosie ist eine großartige Gastgeberin. Das Motel gehört in die Reihe der originalen „old style“ Route 66 Motels. Plätze für RVs gibt es auch.
Im Licht des frühen Abends machen wir das nächste Foto-Shooting für’s Buch. Der Fluß als Background macht sich da ausgezeichnet.
Abendessen gibt’s beim örtlichen Chinesen, nix Dolles, aber durchaus in Ordnung. Das Wagon Wheel Restaurant sparen wir uns für das Frühstück am nächsten Morgen auf. Dort werden wir Rosie, die uns begleiten wird, auch in Sachen Route 66 interviewen.
Die ersten 3000 Meilen dieses ungewöhnlichen Road Trips liegen jetzt hinter uns. Morgen werden wir unseren „turn-around point“ erreichen.
Good Night California.