04. Oktober 2019 - what a day!
Es ist neblig an diesem Morgen im texanischen Panhandle.
Wir sind zum Frühstück mit Nick verabredet. Dazu müssen wir ein paar Meilen von Shamrock nach McLean fahren. 9 Uhr im Chuck Wagon - Nick ist pünktlich, wir auch. Das Frühstück ist prima. Wir sind sicher seit langem die ersten Europäer in diesem so typischen Diner. Hier treffen sich „locals“ - Rancher, Landarbeiter, Viehzüchter, Cowgirls, whoever.
Heute stehen zwei Interviews und Fotoshootings auf dem Programm. Mit echten Texanern. Nick hat das vermittelt und wir sind schon sehr gespannt auf die beiden. Natürlich haben sie was mit der Route 66 zu tun - sie haben ihr ganzes Leben an oder in der Nähe dieser Straße verbracht. Ein langes Leben übrigens.
Delbert Trew heißt unser erstes „Opfer“. Wir treffen ihn im „Devil’s Rope Museum“ in McLean.
Seine Frau hat er auch gleich mitgebracht. Delbert hat dieses seltsame Museum mit dem ungewöhnlichen, aber passenden Namen, in dem es Stacheldraht in allen Variationen zu bewundern gibt, mitbegründet. Genau wie das angeschlossene kleine Route 66 Museum, wo er und einige Gleichgesinnte die „Texas Route 66 Association“ vor Jahren ins Leben gerufen haben.
Delbert schreibt für lokale Medien ab und zu Artikel, die sich mit dem Leben als Rancher und Viehzüchter, aber auch mit der Route 66 befassen. Das Interview wird das längste der ganzen Reise. Delbert erzählt und erzählt … machmal sehr schwer zu verstehen - sein Slang wird es nötig machen, das Ganze später sehr gründlich abzuhören und in schriftliche Form zu übertragen. Wir haben das natürlich mit allen Interviews gemacht, aber dieses erforderte echte Konzentration. Im jetzt erscheinenden Buch findet sich ein Teil seiner Geschichte, wenn auch nur in wenigen Abschnitten, aber man lernt ihn so doch ganz gut kennen. Die Bilder entstehen draußen auf der nebelverhangenen Route 66 mitten in McLean. Hier ist immer noch nichts los. Ellen kann mitten auf der Straße ungestört fotografieren. Das beste Foto kommt ins Buch.
Unsere zweite Verabredung an diesem Tag haben wir in Vega - dazu müssen wir gute 100 Meilen nach Westen fahren. Es geht an Groom vorbei, wo dieses riesige Kreuz steht (mehr darüber im Route 66 Thread), an Amarillo vorbei, an Bushland, an Wildorado, wo massenhaft Kühe im Nebel stehen. Hier macht es Sinn an einigen Stellen das Seitenfenster geschlossen zu halten. Wir sind im Land der Cowboys und der Steaks.
In Vega haben wir eine wunderbare Unterkunft gefunden. Die „Station 66 Vega“ ist eine Ferienwohnung, die man hier gar nicht vermutet hätte. Nick kennt die Besitzerin, wir auch, aber nur via Facebook (das manchmal doch seine gute Seiten hat). Und so kommt es, dass wir dort eine freie Übernachtung bekommen. Lediglich ein signiertes Exemplar von „A Matter of Time“ würde sie gern für die kleine Route 66 Bibliothek in der Wohnung haben. Na, nichts leichter, als das. Da liegt es - links auf der Anrichte.
Die Wohnung ist wirklich wunderschön und hat alles, was man so braucht. Platz ist auch für größere Familien oder mehrere Personen. Voll eingerichtete Küche mit allem Drum und Dran, Waschmaschine, Trockner - kommt uns alles sehr gelegen. Langweilig wird’s auch nicht, es gibt Bücher, Spiele, TV etc. Dazu einen großen Raum, in dem man regnerische Tage bestens verbringen kann, so man will.
Wir nutzen diesen Raum für das erste Shooting mit Charly Nixon, der inzwischen eingetroffen ist. Nick kennt ihn gut von früheren Begegnungen und Interviews. Charly is einfach nur nett. Ein unheimlich freundlicher Mensch, der geduldig alle Fragen beantwortet und von seiner Jugend in Glenrio und Tucumcari erzählt. Und von der Route 66 und wie das so war damals vor sechzig/siebzig Jahren. Charly ist in den 80ern - und leider haben wir vor einigen Wochen erfahren, dass er verstorben ist. Seine Stimme aber haben wir noch, gespeichert auf dem Handy und dem PC. Rest in Peace Cowboy.
Weitere Bilder entstehen draußen an der Straße. Jeans, kariertes Hemd, Cowboyhut - geht’s noch typischer?
Nach einer guten Stunde macht sich Charly auf den Heimweg. Wir wissen noch nicht, dass wir ihn nicht wiedersehen werden.
Der Tag ist noch nicht vorbei. Wir wollen ein paar Nachtaufnahmen in Adrian machen. Dort befindet sich der Midpoint der Route 66. Also noch mal ins Auto, Nick fährt bei uns mit.
Es hat angefangen zu regnen. Okay, soll uns nicht abhalten. Macht sich im Dunklen vielleicht sogar gut auf den Bildern. Es sind nur 14 Meilen, aber es werden die heftigsten 14 Meilen in vielen Jahren USA-Fahrerei. Der Regen entwickelt sich zu einem ausgewachsenen Wolkenbruch. Einem? Nein, zwei oder drei Wolkenbrüche gleichzeitig. In Nullkommanix steht die I-40 an vielen Stellen unter Wasser. Die Sicht ist gleich null, die Scheibenwischer haben keine Chance. Jetzt gilt es, die Ruhe zu bewahren - weiter fahren. Nicht zu langsam wegen der dicken Trucks, deren Fahrer das Wort „bremsen“ auch bei diesem Wetter nicht zu kennen scheinen. Das Auto schlingert ab und zu durch die Pfützen. Aquaplaning von Feinsten. Rechts ran? Zu gefährlich, die Sicht ist dermaßen schlecht, dass das keine wirkliche gute Option ist. Wer die Straßenmarkierungen in den USA kennt, weiß, dass manchmal rein gar nichts zu erkennen ist, jedenfalls nicht bei diesen Bedingungen. Randstreifen? Irgendwo da rechts, gar nicht hinschauen, man kann sie eh nicht erkennen. Der Regen prasselt wie verrückt auf die Windschutzscheibe, alles nur schemenhaft zu erkennen. Wann sind wir endlich da? Nur ja nicht die Ausfahrt verpassen, sonst müssen wir noch 40 Meilen weiter durch dieses Inferno. Dann taucht so etwas wie ein verschwommenes Exit-Schild auf. Endlich. Vorsichtig langsamer werden und weg von der Interstate. Wir schaffen das. Den Rest auch noch, obwohl man hier nun überhaupt nichts mehr sieht, außer was die überforderten Scheinwerfer so ins Visier bekommen. Aber wir können uns voran tasten. Es ist nicht mehr weit bis zum Midpoint Cafe, unserem Ziel. Hier lässt der Regen zum Glück etwas nach, ein paar Lichter sind auch vorhanden. Das Auto stellen wir unter dem Dach der ehemaligen Tankstelle neben dem Cafe ab. Mit Blick auf das Midpoint-Schild und das Fabulous 40 Motel, vor dem ein Oldtimer im Regen steht. Aussteigen? Bilder machen? Das geht nur mit Stativ. Also wird alles zusammen montiert und Ellen traut sich raus. Windig ist es auch noch. Aber da muss man jetzt durch, denn die Bilder könnten prima werden. Eines davon wird es ins Buch schaffen. Nach ein paar Minuten ist alles im Kasten. Wir machen uns auf den Rückweg. Zum Glück hat die Sintflut von oben etwas nachgelassen. Die Rückfahrt ist ein Kinderspiel gegen die Hinfahrt.
Au Mann, musste das sein? Was will man machen, ja, musste sein. Es ist Zeit für’s Abendessen. Wir haben uns das „Roosters“ in Vega ausgesucht. Es gibt mexikanisch. Draußen hat sich die Lage beruhigt. In unserem Quartier trinken wir noch ein Bier auf diesen Tag.
Denn er hatte es wahrhaftig in sich.